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Wie die drei Entwicklungsstufen professioneller Identität das Bild von Mediation bestimmen

Kompetenzausprägung bei bis zu 7 Mediationen
Stufe 1 »Anfänger«

Wer am Anfang seiner Mediationstätigkeit steht, achtet sehr darauf, das Gelernte auch fachlich richtig umzusetzen. Das zeigt sich in der starken Ausprägung der Basiskompetenz F. Die Konzentration liegt auf den Schritten, ähnlich wie beim Tanzen lernen. Dabei kann es passieren, dass die Fokussierung auf das „Richtig-machen“ so viel Aufmerksamkeit einnimmt, dass der Kontakt zum Kunden darunter leidet

Kompetenzprofil von Anfängern

Als wir 2010 das »Forschungsprojekt Mediationskompetenz« durchführten, wollten wir eine Grundlage schaffen, um die Diskussion über Mediationsqualität wegzuführen von der Diskussion um Anzahl der Ausbildungsstunden hin zur Ermittlung von Kompetenzen. Nach wie vor sind wir der Überzeugung, dass es unzureichend ist, Qualität über Quantität zu beschreiben. Auch sieben Jahre später hat sich an unserer Absicht und Überzeugung nichts geändert. Das damals angestrebte Ziel ist heute immer noch nicht erreicht. Die Ergebnisse der Umfrage erklären auch, warum das so ist.

Forschungsprojekt Mediationskompetenz

 

Über 4.000 deutschsprachige Mitglieder verschiedener Mediationsverbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz (BAFM, BM, BMWA, ÖBM, SDM-FSM) wurden eingeladen, an einer Umfrage zu ihrer Mediationstätigkeit teilzunehmen. Mit 562 Antworten entstand eine solide Datenbasis.

Vier Basiskompetenzen

KODE®, das Modell der Kompetenzforscher John Erpenbeck und Volker Heyse, verfügt über einen umfassenden Kompetenzatlas, der auf vier Basiskompetenzen P, A, F und S beruht:

P Personale Kompetenz: Ethik (Einstellung, Menschenbild ...), kluger und kritischer Umgang mit sich selbst, Reflexion

A Aktivitäts- und Handlungskompetenz Engagement, Initiative, Dynamik, Neugier, Beharrungsenergien stören, kreative Unruhe, steuernd eingreifen, Entscheidungsfreude

F Fach- und Methodenkompetenz, inhaltliche Methoden („Formel“), steuernde Methoden („Moderation“), Wissen, Können und Erfahrung

S Sozial-kommunikative Kompetenz Umgang mit Kontrolle, Kritik, Konflikte, Team- und Einzelgespräche

Bei der Umfrage wurde unter anderem untersucht, wie sich die Ausprägung der vier Basiskompetenzen in Abhängigkeit von der Praxiserfahrung entwickelt bzw. verändert. Die Praxiserfahrung wurde anhand der Anzahl durchgeführter Mediationen ermittelt: bis 7 (»Anfänger«), bis 20 (»Fortgeschrittene«) und über 20/über 50 (»Profis«“).

Kompetenzprofile

Kompetenzausprägung bei bis zu 20 Mediationen
Stufe 2 »Fortgeschrittene«

Nachdem ausreichend Sicherheit in der Anwendung von Methoden erreicht wurde, richtet sich nun die Konzentration auf die Gestaltung und Festigung der eigenen professionellen Identität. A und F werden zurückgenommen. P und  S erhalten Vorrang. Damit richtet sich die Motivation der eigenen Handlungen auf die Verdeutlichung: „Ich bin Mediator/in und zeige das allen.“ Auch hierbei kann es passieren, dass die Konzentration auf Sicherung und Darstellung der eigenen Identität so viel Aufmerksamkeit beansprucht, dass der Kontakt zum Kunden vernachlässigt wird.

Kompetenzprofil von Fortgeschrittnen
Forschungsprojekt

Kompetenzausprägung bei über 20 Mediationen
Stufe 3 »Profis«

Mit ausreichend abgeschlossener Identitätsfindung wird nun der Kundennutzen fokussiert. Die Aufmerksamkeit gilt der Qualitätssicherung bezüglich der eigenen Dienstleistung. Dieses Phänomen verstärkt sich deutlich weiter bei über 50 Mediationen. Das zeigt sich in der nun am stärksten ausgeprägten Aktivitäts- und Handlungskompetenz, mit der für Ergebnisse gesorgt wird. Wie diese Ergebnisse erzielt werden, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist es, Kundenzufriedenheit zu erreichen, denn nur ein zufriedener Kunde wird auch ein zukünftiger Kunde sein und über Weiterempfehlung zusätzlich für neue Kunden sorgen.

Kompetenzprofil von Profis

Literatur: Kreuser, Karl/Heyse, Volker/Robrecht, Thomas (2011): Mediationskompetenz. Münster: Waxmann.

 

 

Eine ganz normale Kundenfrage: »Können Sie mir mein Problem lösen?«

 

Der Unterschied der Entwicklungsstufen und dem Selbstverständnis wird sehr deutlich, wenn man die prototypischen Antworten auf die Kundefrage »Können Sie mir mein Problem lösen?« betrachtet:

»Anfänger« Stufe 1


»Wer...? Ich..? Äh, weiß nicht ...  vielleicht ... mal sehen...«

Wirkung beim Kunden: Rückzug
»Oh je, ein Anfänger!«

»Anfänger« verstehen Mediation als etwas von einem Vorbild Erlerntes. Ihr Handeln ist von der Hoffnung getragen, dass über die Imitation des Vorbilds der Weg zur Meisterschaft erreicht wird.

Die Auftragsklärung stellt eine große und wenig geübte Herausforderung dar.

»Irgendwie ist das hier alles ganz anders, als im Seminar«

»Fortgeschrittene« Stufe 2:


»Nein, das kann ich nicht. Aber ich kann Sie dabei unterstützen.«

 

Wirkung beim Kunden: Zweifel:
»Aha, der wird mit kaum helfen können.«

»Fortgeschrittenen« sind mit der Lehre der Mediation identifiziert. Veränderungen werten sie als Gefahr oder gar Angriff gegen ihre Identität und lehnen deshalb Änderungen kategorisch ab.

Die Interventionswahl (=Mediation) steht bereits vor der Auftragsklärung fest:

»Ich hab'n Hammer und möchte damit irgendwo bei euch draufklopfen«

»Profis« Stufe 3:

»Ja, ich denke schon. Aber erzählen Sie doch erst mal mehr davon.«

Wirkung beim Kunden: Hoffnung

»Das könnte jemand sein, der mir nützlich ist«

»Profis« wissen, das eigene Überleben im Markt von der Zufriedenheit der Kunden abhängt. Deshalb finden sie Wege, wie sie ihren Kunden zu seinem gewünschten SOLL führen.

Die Interventionsentscheidung wird am Ende der Auftragsklärung getroffen.

»Ich bin Problemlöser und prüfe, ob und wie ich euch nützlich sein kann«

Das Dilemma

Kommen wir zurück zur Qualität, die definiert ist als Übereinstimmung mit den Anforderungen. Die Qualitätsstandards der Mediationsverbände beschreiben solche Anforderungen. Sie bilden den Maßstab, an dem sich Mediationsausbildungsqualität misst. Diese Anforderungen basieren auf der Stufe 2 der »Fortgeschrittenen«. Dort ist die Qualitätsdiskussion entstanden und verharrt dort auch seit 20 Jahren. Was fehlt, ist die Definition der Qualität von der »Dienstleistung Mediation« mit der Berücksichtigung der Marktresonanz. Da wundert es nicht, dass sich nur ganz wenige Menschen überhaupt für Mediation interessieren.

Von außen betrachtet entsteht der Eindruck, dass die MediatorInnen und ihre Verbände auf Stufe 2 mit ihrer identitätssichernden Selbstbeschäftigung und dem Beklagen mangelnder Nachfrage ausgelastet sind oder gar die geringe Nachfrage resignierend akzeptiert haben.

Doch es gibt zahlreiche »Profis« (Stufe 3), die genau wissen, welche Qualität vom Markt erwartet wird – und diese auch liefern, denn sonst würden sie im Markt nicht überleben. Den Profis und auch dem Markt ist es völlig egal, mit welchem Verfahren oder Methode ein gewünschtes Ziel erreicht wird. Wichtig ist vielmehr, dass es erreicht wird. Dafür bedienen sich Profis ihres gesamten Erfahrungsschatzes, folgen eher ihrer Intuition und kombinieren Methoden verschiedener Disziplinen miteinander. Nicht selten steht ihr praktisches Handeln im krassen Widerspruch zu gängigen Aussagen der Lehrbücher.

Profis akzeptieren zwar die Diskussionen der »Fortgeschrittenen« auf Stufe 2, aber beteiligen sich nicht daran. Manchmal meiden sie diese Diskussionen auch ganz, weil sie darin keinen Mehrwert für sich erkennen können. Dieses Phänomen spiegelt sich in einigen Fachdiskussionen wider.

Das Dilemma dieser Ergebnisse

Systemstabilisierung durch Selbstbezug

So erklärt sich die Tatsache, dass es für Anfänger und Fortgeschrittene wesentlich attraktiver ist, sich in einem Mediationsverband zu engagieren, als für Profis. Deshalb bringen sich diejenigen mit der größten praktischen Erfahrung auf Stufe 3 am wenigsten in die Weiterentwicklung der Qualitätsdefinition ein. Zwar gibt es in Verbänden zahlreiche Profis, doch die meisten sind auch als AusbilderInnen tätig. Sie richten ihre Ausbildung nach wie vor an den geltenden Standards aus, um ihren von den Verbänden lizenzierten Ausbilderstatus zu erhalten. All das behindert die kollektive Weiterentwicklung der Mediation. Ein eindrucksvoller Beleg bieten die Stellungnahmen zur Evaluation des Mediationsgesetzes (siehe Google).

Einige bezweifeln die Stimmigkeit der Ergebnisse, beleuchten das in der Studie Unbeleuchtete und setzen mit akademischen Diskussionen die gewohnte Selbstbeschäftigung auf Stufe 2 fort.

Doch es gibt auch Beiträge, die ein Umdenken der Mediationsszene einfordern, die den Mediationsmarkt einbeziehen wollen und sich damit zur oder auf der Stufe 3 bewegen (z.B. http://mediationswiki.de/article147-Das-Signal-zum-Umdenken). Je mehr dieser Veränderungswille an Durchsetzungskraft gewinnt, desto größer wird die Chance, dass sich am zunehmenden Angebotsstau arbeitssuchender MediatorInnen und dem fehlenden Nachfragesog vom Markt etwas spürbar verändert.

​Wir hoffen mit diesem Beitrag eine Diskussion zu fördern, die nicht mehr auf Stufe 2 verharrt. Wenn dann als Ergebnis eine Qualitätsdefinition auf der Stufe 3 der »Profis« erfolgt, hat dieser Beitrag das Beste aller Ziele erreicht.

 

07.11.2017

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